Randnotizen (deutsch)Was ist eine Verschwörungstheorie?

Was ist eine Verschwörungstheorie?

Heute habe ich einen ganz besonderen Artikel auf dem Schreibtisch, dem ich mich schon lange widmen wollte. Hier geht es nämlich um ein ganz grundsätzliches Thema, das die Gemüter erregt – die so genannten Verschwörungstheorien, zu denen ja die Fragen um die Aufdeckung von verschlossenen Akten zu UFO-Sichtungen und ähnlichem im Grunde auch gehören. Der heutige Artikel ist ein einleitendes Essay zu einem Werk von Andreas Anton, Michael Schetsche und Michael K. Walter mit dem Titel “Wirklichkeitskonstruktion zwischen Orthodoxie und Heterodoxie – zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien”, in A. Anton et al. (Ed.) Konspiration, Wiesbaden 2014, Springer Verlag, DOI 10.1007/978-3-531-19324-3_1.

Dieser Artikel bringt es auf den Punkt: Der überwiegende Teil bisheriger Publikationen, die sich mit dem Thema “Verschwörungstheorie” wissenschaftlich befassen, unterliegt einem eklatanten Bias, bei dem die Frage nach der Sinnhaftigkeit oder Wahrheit einer Verschwörungstheorie in den Mittelpunkt gestellt wird, anstatt zu objektiv zu ergründen, was eine solche überhaupt ist. 

Hierfür stellen die Autoren eine interessante These aus der Perspektive der konstruktivistischen Wissenssoziologie vor: Der Wahrheitsgehalt von so genannten Verschwörungstheorien kann nicht per defitionem festgelegt werden, weil dieser auf einer spezifischen Konstruktion der Wirklichkeit basiert. Die Wahrnehmung dieser Wirklichkeit kann hiernach auf dem bisherigen, “orthodoxen” Wissen beruhen, während eine andere Wirklichkeit auf der Basis heterodoxen Wissens konstruiert wurde, das als “nicht-allgemein-anerkannt” gilt. Als Hüter dieses “allgemein anerkannten Wissens” nennen die Autoren die Massenmedien oder kulturelle bzw. gesellschaftliche Strukturen, die politische Entscheidungen nicht oder nur in geringem Umfang hinterfragen.

Die Autoren machen hier einen präzisen Schnitt zwischen der  Frage, ob eine Verschwörungstheorie nur ein Hirngespinst sei oder doch ein Körnchen Wahrheit enthalte, und der Frage was eine Verschwörungstheorie ist und worin die Ursachen dafür liegen, dass der Begriff heute im öffentlichen Diskurs auch der Delegitimierung und Stigmatisierung dient. Dies ist übrigens ein Phänomen, das bis in die wissenschaftliche Etage vorgedrungen ist und mit einer geradezu automatisierten Distanzierung einher geht, um der Gefahr einer sozialen Ächtung zu entgehen. 

Nach Meinung der Autoren seien die vermehrt auftretenden Verschwörungstheorien auch etwas, das auf einem tiefen Mißtrauen den politischen Akteuren gegenüber beruhe. Die reale Erfahrung des Wahrwerdens einer Verschwörungstheorie in der Vergangenheit (z.B. die Watergate Affäre) führe zur Suche nach alternativen Ursachen, die dem gängigen Narrativ entgegen stehen.

Aus Sicht der Wissenssoziologie jedoch ist eine Verschwörungstheorie zunächst erst einmal lediglich eine kulturell heterodoxe Wirklichkeitsbeschreibung.

Diese Definiton ist, aus meiner Sicht, ganz besonders wichtig, wenn das Thema wissenschaftlich aufgearbeitet werden soll. Eine möglichst objektive Betrachtungsweise ist geradezu Voraussetzung dafür, das gesellschaftliche Phänomen historisch und aktuell einzuordnen. Doch ich gehe noch einen Schritt weiter: Wer sich mit Verschwörungstheorien wissenschaftlich befassen möchte, braucht auch eine konkrete Fragestellung. Alles andere wäre nicht nur eine tendenziöse Abhandlung und im schlimmsten Fall persönliche “Abrechnung” mit den Verschwörungstheoretikern, die es wagen, den “common sense” in Frage zu stellen, sondern es wäre schlicht keine Wissenschaft. 

Den Autoren Anton, Schetsche und Walter gelingt der Versuch einer sauberen Definition der “Verschwörungstheorie”, die nunmehr als Grundlage herangezogen werden kann, um weiteren Fragen nachzugehen: Der Frage nach der Ursache dieser alternativen Wirklichkeitskonstruktionen. Oder der Frage, ob überhaupt und wenn ja, in welcher Form, das “wilde Spekulieren” über Ursachen für gegenwärtige Ereignisse kontrolliert werden sollte.

Aus meiner Sicht kann eine Zunahme an mehr oder weniger nachvollziehbaren Verschwörungstheorien auch am gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Informationsgesellschaft liegen, die jetzt erst mit der ungeheuren Informationsflut umzugehen lernt, die täglich auf die einströmt. Zu oft wurden Menschen von bewusst falschen Nachrichten in die Irre geleitet – auf beiden Seiten. Der Mainstream versucht mit dem Finger auf Verschwörungstheoretiker zu zeigen, in dem sie unzählige offizielle “Faktenchecker” etabliert…bei denen einige von jenen Akteuren finanziert werden, deren Narrative den “common sense” ERZEUGEN SOLLEN.

Neben der Frage, warum auch recht viel Unsinn oder bewusste Verdrehungen in den heterodoxen Kanälen entstehen, dem von politischer Seite oft mit Zensur oder gar Strafdrohungen Einhalt geboten werden soll, könnten wir eventuell zukünftig unseren Fokus darauf richten, Menschen zu auszubilden. Und zwar nicht mit einer konkreten “richtigen” Meinung, sondern mit der Bereitschaft und der Fähigkeit, eine Information zu überprüfen. Es täte, glaube ich, allen Beteiligten gut – und zwar den heterodoxen wie den orthodoxen Gläubigen der Informationsreligion, wenn sie sich auf die wissenschaftliche Prämisse der Mathematik zurückbesinnen und bei einigen “Fakten” noch mal eine “Gegenprobe” machen würden. Die Rückwärts-Bildersuche bei Google oder Tineye.com ist beispielsweise ein ganz einfacher Weg herauszufinden, ob ein Foto tatsächlich ein übervolles Covid-Krankenhaus in Indien zeigt, bei dem Menschen auf dem Bürgersteig sterben, weil sie abgewiesen wurden – oder ob es sich um einen Jahre zurückliegenden Unfall handelt. Die Macht der Bilder versus die Macht des selbständig denkenden Menschen.
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