Randnotizen (deutsch)Gedanken zur Drake Equation

Gedanken zur Drake Equation

Heute geht es um einen Artikel von Garry Chick mit dem Titel “Biocultural Prerequisites for the Development of Interstellar Communication “ in: Vakoch, Douglas A., Archaeology, Anthropology and Interstellar Communication, NASA History Series NASA SP-2013-4413, pp. 79-94. (Download the book here: https://www.nasa.gov/sites/default/files/files/Archaeology_Anthropology_and_Interstellar_Communication_TAGGED.pdf).

Die Drake Equation und der Intelligenzbegriff

Der Autor setzt sich mit der so genannten Drake Equation auseinander und nimmt dabei zwei Faktoren dieser Gleichung genauer unter die Lupe. Die Drake Equation ist bekannt dafür, dass sie (mehr oder weniger) fiktive, aber dennoch mögliche oder wahrscheinliche Faktoren bestimmt, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit intelligenten Lebens im Universum außerhalb der Erde ausrechnen lässt. Diese Gleichung lautet: N = R* · fp · ne · fl · fi · fc · L. 

Die einzelnen Glieder der Gleichung bedeuten folgendes:

      • N = die Anzahl der Zivilisationen in unserer Galaxie, die zur interstellaren Kommunikation fähig sind
      • R* = die Rate der Sternentstehung pro Jahr in der Galaxie
      • fp = der Anteil der Sterne mit Planeten
      • ne = die durchschnittliche Anzahl der bewohnbaren Planeten pro Stern mit Planeten
      • fl = der Anteil der bewohnbaren Planeten, die Leben entwickeln
      • fi = der Anteil der Planeten mit Leben, auf denen sich intelligentes Leben entwickelt
      • fc = der Anteil der intelligenten Zivilisationen, die in der Lage (und bereit) sind zu kommunizieren
      • L = die erwartete Lebensdauer solcher Zivilisationen 

Garry Chick pickt sich dabei fi und fc heraus und beleuchtet den wissenschaftlichen Erkenntnisstand dazu kritisch. Insbesondere weist er darauf hin, dass die einzelnen Faktoren der Drake Equation häufig nicht mehr als reine Spekulation sind und ihre Ergebnisse – jeweils entsprechend der angesetzten Schätzung – erheblich differieren. 

In Bezug auf die Faktoren fi und fc versucht auch er sich zunächst mit einer Definition von Intelligenz. Was ist denn eigentlich “intelligentes Leben”, das wir außerhalb unseres Planeten vermuten? Woran machen wir Intelligenz fest? Bei einem Blick auf die Tierwelt und die Fähigkeit einzelner Tierarten Werkzeuge zu benutzen, mag man schon erahnen, wie schwierig es ist, den Intelligenzbegriff konkret zu erfassen. Hier auf der Erde gibt es diverse Intelligenztests, mit deren Hilfe man den IQ eines Menschen halbwegs zuverlässig bestimmen kann. Doch diese haben den großen Nachteil, dass sie nur eine bestimmte Form von Intelligenz messen können, nämlich in denen Aufgaben gestellt werden, in denen es nur eine richtige Antwort gibt. Aber Chick weist darauf hin, dass bereits Gardiner und Sternberg verschiedene Aspekte der Intelligenz beleuchtet haben. Dazu gehört beispielsweise analytische, kreative oder praktische Fähigkeiten, mit denen eine Spezies in der Lage sein kann, “ihre Umgebung zu manipulieren”.

Die Lebensspanne einer Zivilisation

Ich habe den Artikel noch nicht zu Ende gelesen, denn er hat mich auf eine ganz einzigartige Weise inspiriert, über einen ganz anderen Teil der Drake Equation nachzudenken. Ich habe mir intensiv Gedanken zum Faktor “L” gemacht und werde mich, ausgehend von Chicks Artikel, weitere Recherchen vollziehen, denn in den vorgestellten Beispielrechnungen gehen die sowohl Drake und auch Carl Sagan von einer Lebensspanne einer Zivilisation von 10.000 Jahren aus. Diese Zahl macht mich als Archäologin und Historikerin äußerst stutzig.

Auf die allgemeine Sinnhaftigkeit der Drake Equation mag ich aktuell noch nicht äußern.Ich denke, dass sie zumindest einen wertvollen Ansatz liefert, das “innere Gefühl”, dass da draußen noch jemand außer uns sein MUSS, in eine wissenschaftliche, berechenbare Formel zu gießen. Die einzelnen Faktoren sind es, die definiert, differenziert und kontinuierlich evaluiert und werden müssen. 

Daher stellt sich mir die Frage: Sind 10.000 Jahre Lebenspanne einer Zivilisation eigentlich viel oder wenig? Hängt das nicht auch von unserer Zeitwahrnehmung ab? Und welche Dinge haben denn Einfluß darauf, ob wir etwas als “lang” oder “kurz” empfinden? 

Zeitempfinden

Auch da kommt mir unweigerlich die Analogie mit einem Kind in den Sinn. Als kleines Mädchen habe ich eine gefühlte Ewigkeit darauf gewartet, dass endlich Weihnachten ist, dass ich endlich in die Schule komme, dass ich endlich meinen Schulabschluss habe usw. Jahre vergingen für mich langsam. Je älter ich wurde und je mehr ich in der Lage war Informationen von außen aufzunehmen und komplexere Zusammenhänge zu erkennen, umso schneller verging die Zeit. Jetzt, da ich selber Mutter bin und ich nach einem stressigen Tag voller aufregender, anstrengender und schöner Momente abends müde ins Bett falle, scheinen die Jahre nur noch noch an mir vorbei zu ziehen. Je älter ich werde, umso mehr lebe ich in der Gegenwart und nicht mehr so sehr im “Wartemodus” auf das, was vielleicht noch kommt. Jeder kennt das – wenn man mit etwas beschäftigt ist, das einen begeistert, verliert man das Gefühl von Zeit. Wenn ich aber auf den Bus warte, der sich verspätet und ich meinen anschließenden Zug verpassen könnte, dann fühlen sich Minuten wie Stunden an.

Was ich damit sagen will, ist: Als Archäologin habe ich die Hinterlassenschaften einer nicht mehr existenten Zivilisation in den Händen gehalten. Was faszinierend ist, war gleichzeitig auch etwas, das mich beruhigt hat: Damals wie heute, sind wir Menschen immer noch dieselben. Wir sprechen anders, wir kleiden uns anders, manche Werte haben sich verschoben. Doch im Grunde ist alles beim alten geblieben. Menschen verlieben sich, trennen sich, wollen ihren Partner zurück, sie lügen und betrügen, sie helfen einander und sie machen schmutzige Witze – das war in der Antike genau so wie heute. Menschen streiten und bekriegen sich, Menschen feiern Feste miteinander und arbeiten gemeinsam an etwas großes, das bisweilen auch gigantische Ausmaße annehmen kann, wie man an den Pyramiden von Giza sieht. 

Doch wir sind nun in der Lage, diese Kultur aus einer zeitlichen Distanz zu betrachten und können feststellen, dass sie mehr als 5000 Jahre lang existiert hat. Vor einpaar Jahren noch war das eine gigantische Zahl für mich. Heute “springe” ich zwischen den Hoch- und Zwischenzeiten des Alten Ägyptens hin und her, vergleiche, ziehe Schlüsse und wundere mich nicht mehr so sehr. Wir nennen die Alten Ägypter “Zivilisation”, doch wo fängt sie an und wo hört sie auf? Haben die “Alten Ägypter” überhaupt aufgehört zu existieren? Ich bezweifle das. Wenn du heute nach Ägypten fliegst, wirst du Menschen treffen, die zwar arabisch sprechen, die aber noch genauso aussehen wie auf den faszinierenden Wandmalereien in den Tempeln und Gräbern. Sicher können Ethnologen das noch besser qualifizieren als ich. Aber das Alte Ägypten lebt in den Menschen fort. Und nicht nur in Ägypten selber, sondern in der ganzen Welt. 

Betrachten wir also den Begriff “Zivilisation” isoliert auf eine ethnische Gruppe, ein Volk oder ein begrenztes Gebiet? Oder sehen wir uns als Menschheit als “Zivilisation”? Dann sollten wir vielleicht überlegen, ob die in der Drake Equation angesetzte Zahl von 10.000 Jahren für die Lebenspanne einer Zivilisation überhaupt nur ansatzweise stimmen kann. Die menschliche Evolution vollzieht sich seit vielen Tausenden von Jahren. Aber wann wurde aus der Menschheit eine “Zivilisation”? Als wir vor 11.000 Jahren eine Siedlung in Göbelki Tepe (heutige Türkei) bauten und dort anthropomorphe Gottheiten in Stein meißelten? Oder als als wir sesshaft wurden und von der Jäger- und Sammler-Zeit zu einer effektiveren Lebensweise der geplanten Landwirtschaft und Viehzucht übergingen? Ja, das waren wesentliche Punkte, in denen die Menschheit ihre evolutionären Schritte geradezu sprunghaft gemacht hat, aber war ein Jäger, der seine Fähigkeit, Waffen zu erschaffen und zu benutzen über Jahrhunderte geschärft hat, kein Teil einer Zivilisation? Und was ist, wenn wir einen unscheinbaren “Tell” (archäologischer Begriff für einen Berg, der aus unzähligen Schichten mit den Hinterlassenschaften einer Siedlung besteht), finden, diesen abtragen oder aufbohren und aus dem Bohrkern etwas erkennen, dass unsere erdgeschichtliche Datierung ändert? Mit fortschreitender Technologie in der Archäologie und den immensen Möglichkeiten, auf mikroskopischer, chemischer oder physikalischer Ebene immer präziser abzulesen, wie alt ein Fundstück ist, MUSS jeder Archäologe sehen: Wir wissen schon viel, aber noch nicht alles!

Wikipedia vermischt den Begriff “Zivilisation” mit dem Begriff “Kultur” und verweist darauf, dass es eine wertende Komponente besäße: Positiv im Sinne von Gesittung und Lebensverfeinerung im Gegensatz zur „Barbarei“, und negativ im Sinne einer Trennung zwischen den Kulturen in “Hochkultur” und niedere Kultur. Das ist sicherlich überlegenswert im Sinne einer achtsamen Verwendung von Begriffen.

Es bringt mich aber für die Frage, wie lange eine “Zivilisation” existiert, keinen Schritt weiter. Wenn wir also nun auf den gigantischen Raum außerhalb unserer kleinen Erdkugel schauen, dann können wir den Faktor “L” nicht mit der Lebenspanne von geschichtlich markanten Völkern, einzelnen Ethnien oder “Kulturen” vergleichen, die – erdgeschichtlich gesehen – einmal aufblitzen und dann wieder leise sind, sondern müssen eben die Menschheit als solche als “Zivilisation” im Ganzen verstehen. Und da ist eine Zeitspanne von 10.000 Jahren definitiv zu niedrig angesetzt.
Ich werde der Sache weiter auf den Grund gehen…
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