Der Metasemiotische Ansatz und seine Herausforderungen in der Forschung zur Interstellaren Kommunikation, Teil 1
Heute beschäftige ich mich mit einem spannenden Artikel von Richard Saint-Gelais, Beyond Linear B – The Metasemiotic Challenge of Communication with Extraterrestrial Intelligence, in: Vakoch, Douglas A., Archaeology, Anthropology and Interstellar Communication, NASA History Series NASA SP-2013-4413, pp. 79–94.
(Download des Buches: https://www.nasa.gov/sites/default/files/files/Archaeology_Anthropology_and_Interstellar_Communication_TAGGED.pdf)
Der Autor versucht, herkömmliche Methoden der semiotischen Analyse und der Interpretation von Zeichen auf die Frage der “Übersetzung” einer möglichen interstellaren Botschaft anzuwenden. Dabei stellt er eine Verbindung her zur Entzifferung von “ausgestorbenen” Sprachen, wie der Hieroglyphen im Alten Ägypten. Diese wurden ja mithilfe des so genannten Rosetta Stones durch Linguisten wie Jean Francois Champollion dechiffriert. Der Autor geht davon aus, dass wir beim möglichen Empfang einer interstellaren Botschaft mit dem Problem konfrontiert seien, dass der Sender einer Information keinen Hinweis mitgeliefert habe, wie die Botschaft zu verstehen sei. Eine solch “unkooperative Situation”, wie der Autor sie nennt, stellt also undefinierbare Zeichen einer fremden Spezies in den Raum, die es uns schwer machen würden, ihre Bedeutung zu verstehen, weil wir nicht den geringsten Anhaltspunkt haben, ob es sich beispielsweise um ein alphabetisches, ein syllabisches oder ideografisches Schriftsystem handele. Ein Strich beispielsweise erfordert für seine Interpretation mindestens noch einen Kontext: Es kann sich bei einem Strich um eine vertikale trennende Linie handeln, oder um den Druckbuchstaben “I”, oder um ein Strichmännchen usw.
Viele der angesprochenen Punkte liefern sehr wertvolle Einblicke in die Methoden und Theorien von Linguisten, die mir als Ägyptologin zwar bekannt, aber in dieser Tiefe noch nicht bewusst waren. Er verweist z.B. auf die semiotische Unterscheidung zwischen index, icon und symbol, die durch ihre feine Ausdifferenzierung eine nachvollziehbare Bedeutungsanalyse ermöglicht.
Allerdings zieht der Autor eher pessimistische Schlüsse aus seiner Analogie. Die “ausgestorbene” Sprache des alten Ägypten beispielsweise habe nur deshalb erfolgreich entziffert werden können, weil die beteiligten Forscher linguistische Vorkenntnisse hatten und über eine bilinguale Vorlage verfügten (der Rosetta Stein enthält den selben Text neben der hieroglyphischen Version auch noch in zwei weiteren Sprachen, von denen mind. eine zum Zeitpunkt der Übersetzung bekannt war). Dies sei bei einer interstellaren Botschaft eher nicht anzunehmen.
Richtig ist, dass wir vermutlich auf völlig unbekannte Zeichen stoßen könnten. Ein Kreis über einem Dreieck auf der äußeren Hülle einer fliegenden Untertasse kann tatsächlich alles bedeuten. Von “Die Sonne scheint auf Pyramiden herab” bis hin zu “Rund sind alle Planeten und alles strebt nach oben.” Was der Autor aber vielleicht übersieht, sind zwei wesentliche Dinge:
Der Kontext
1. Wir schauen bei einem archäologischen Artefakt (egal ob mit oder ohne kryptischen Inschriften), ob es sich um einen sakralen, funerären oder profanen Kontext handelt. Ist es ein Gebrauchsgegenstand oder ein Ritualobjekt, ein Modell oder ein Spielzeug? Demgemäß müssen auch wir bei einer Kontaktaufnahme durch eine ausserirdische Spezies den Kontext der Botschaft mit in die Interpretation einbeziehen und uns fragen: Wurde die Botschaft irgendwo gefunden? Oder wurde sie uns aktiv von einer fremden Spezies übermittelt? Wenn ja, auf welche Weise? Ist der Kontext eher friedlich einzuordnen oder bedrohlich?
Für die letztere Frage mag es unterschiedliche Interpretationsansätze geben, denn hier ist durchaus auch das individuelle Mindset ausschlaggebend. Ein Kind, das noch kaum schlechte Erfahrungen gemacht hat, wird einem kleinen grünen Männchen eher die Hand reichen, als ein alter Mensch, der aufgrund von persönlichen Ereignissen im Verlauf des Lebens, die er als negativ empfand, eine natürliche Scheu vor dem “Unbekannten” aufgebaut hat. Insofern kann diese Frage hier zunächst noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden.
Die Einbeziehung des (erfahrbaren) Kontextes würde uns vielleicht nicht direkt eine Übersetzung liefern, aber er könnte uns wertvolle Hinweise auf die Interpretation einer interstellaren Botschaft geben.
Die Technologie
2. Eine weitere vom Autor unterschätzte Tatsache ist, dass wir heute mit einer ganz anderen Technologie an die Erforschung derartiger Phänomene herangehen. Wir nutzen bereits jetzt in der Ägyptologie und anderen ähnlichen Wissenschaften fortschrittliche Auswertungssoftware, um semiotische Verbindungen zu Begriffen und deren Kategorisierung sichtbar zu machen. Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz ist dabei nur ein weiterer Schritt, der bereits in greifbarer Nähe ist. Der Autor interpretiert unsere zukünftigen Chancen der Entzifferung daher aus der Vergangenheit heraus, statt auf der Basis zukünftiger Entwicklungen. Der Entzifferer der Hieroglyphen, Champollion, saß noch bei Kerzenschein in einem kleinen Zimmer mit handschriftlichen Aufzeichnungen auf Papier, während wir heute mit gigantischen Datenmengen hantieren und nicht mal mehr selber rechnen müssen. Ja, die multilinguale Vorlage des Rosetta Stones war ein Segen für die Ägyptologie, denn ab dem Zeitpunkt der Entschlüsselung der Hieroglyphen konnte sie sich überhaupt erst als ernstzunehmende Wissenschaft etablieren. Aber die Methoden von gestern werden erwachsen und manchmal werden sie auch abgelöst von etwas ganz neuem, das bereits in den Startlöchern steht und ungeahntes Potential für ganz neue Erkenntnisse in sich trägt.